Gutes Aussehen alleine reicht nicht: Schönheit ist auch eine Frage des Stils

Er ist einer der bekanntesten Stilexperten Europas und befasst sich seit Jahren, nicht nur in seinen Büchern, mit Fragen des „guten Geschmacks“. Bernhard Roetzel über die Form, die wir unserer Erscheinung geben.

Wie definieren Sie, als „Stil-Experte“, Schönheit?

Je länger ich mich mit Schönheit befasse, desto schwerer fällt mir die Definition. Ganz theoretisch ist Schönheit ein Zusammenspiel bestimmter Proportionen mit Augenfarbe, Haar und Hautton. Dabei hatten die verschiedenen Kulturen und Epochen im Detail unterschiedliche Vorstellungen, in der Regel hatte der jugendliche Mensch aber eine besondere Stellung. Wenn man die Dichtung der alten Hochkulturen studiert, stößt man immer wieder auf den Lobpreis der jungen, schlanken Gestalt. Das war damals kein Jugendwahn, es hatte vielmehr mit der durchschnittlich viel geringeren Lebenserwartung zu tun und der hohen Bedeutung umfangreichen Nachwuchses. Und natürlich gehört es auch zum Wissen des Menschen um seine Vergänglichkeit, dass ein aufblühendes Wesen uns besonders fasziniert. Diese Faszination erstreckt sich auch auf die Tierwelt. Jeder Mensch, egal woher er kommt, wird ein junges Pferd als schön empfinden. Schönheit darf allerdings nicht Makellosigkeit gleichgesetzt werden. Man denke nur an das Schönheitspflaster, das sozusagen einen künstlichen Makel setzte, um die Schönheit zu steigern. Und Marlon Brando sah interessanter aus, nachdem er sich die Nase gebrochen hatte, das gab ihm Sex Appeal. Kinder interessieren sich interessanterweise noch nicht für Schönheit. Ob sie einen Menschen mögen, hängt nicht von dessen Aussehen ab. So könnten sie vor einer Schönheitskönigin weglaufen, während sie eine verhutzelte Oma lieben.

Ist Schönheit eine Frage des Stils?

Der Stil ist die Form, die wir unserer Erscheinung geben. Er soll das sichtbar machen, was unsichtbar ist, also unser eigentliches Wesen. Mit Schönheit hat das zunächst einmal nichts zu tun. Ein hässlicher Mensch kann sehr viel Stil haben und viele von Natur aus schöne Menschen haben gar keinen Stil, also keinen Wunsch nach Form. Wobei man natürlich wieder fragen muss, was hässlich ist. Doderer hat eine Figur einmal als „von außerordentlicher Hässlichkeit, und dabei (...) geradezu hübsch“ beschrieben. Allerdings gibt es Menschen, die ein so extrem stilvolles Auftreten haben, dass man zeitweise denkt, sie seien schön. Die Vollendung der Form kann als schön empfunden werden. In diesem Zusammenhang ist der Begriff der Eleganz sehr wichtig. Echte Schönheit kann, muss aber nicht mit Eleganz gepaart sind. Eleganz hat aber immer sehr viel mit Stil zu tun.

Welche Tipps können Sie Damen geben, um stilvoll in Erscheinung zu treten?

Selbsterkenntnis ist der erste Schritt zur stilvollen Erscheinung. Man muss seine Schwächen kennen und dann lernen, wie man sie neutralisiert oder sogar ummünzt in Stärken. All die so genannten Figurprobleme sind lösbar. Die Schneiderinnen und Modeschöpfer kennen die Rezepte sind Jahrhunderten. Also z. B. die Taille betonen, um die Figur zu strecken. Große Flächen durch senkrechte Teilungslinien aufteilen und damit verkleinern. Kurze Beine mittels weit ausgeschnittener Schuhe verlängern etc. Das ist das kleine Einmaleins. Dann die Kunst, Accessoires als Würze einzusetzen. Die richtige Tasche, eine Uhr, ein einzelner Ring – so etwas ist entscheidend für die Gesamtwirkung. Immer sollten Damen aber Schlichtheit anstreben. Das war z. B. auch das Credo von Audrey Hepburn bei ihrer Zusammenarbeit mit Hubert de Givenchy. Bei Audrey Hepburn gab es nie überflüssigen Flitterkram, alles war so schlicht und klar wie ein Holzschnitt. Die stilvolle Dame hat außerdem ein absolut sicheres Gefühl dafür, was einem Anlass angemessen ist. Deshalb ist sie auch nie overdressed oder underdressed.

Welche Stilsünden sollten Damen niemals begehen?

Jeder begeht hin und wieder kleine und große Stilsünden. Es wäre langweilig, wenn es nicht so wäre. Generell sollte man aber vermeiden, die Sünde zum Programm zu machen, denn dann wird es auch wieder uninteressant. Ich stoße mich an heute sehr verbreiteten Kleinigkeiten, z. B. tragen viele Damen zum langen Abendkleid profane Pumps. Auch mit Schwarz und Weiß sollte man vorsichtig sein, denn diese beiden Farben, die ja eigentlich gar keine sind, stehen nur den wenigsten und sie wirken schnell gewöhnlich. Ich bin auch so altmodisch, Tätowierungen als stillos zu empfinden. Die ganz schlimmen Stilsünden begehen Damen aber ohnehin nicht, z. B. würden sie nie die unsäglichen „Jeggings“ tragen, eine Kombination aus Jeans und Leggins. Und Leggings natürlich auch nicht, genauso wenig wie eine Dame abseits des Strandes Flipflops trägt. Eine Dame kleidet sich stets passend zum Anlass und passend zu ihrem Alter.

Ist Stil der Mode unterworfen?

Man sagt immer, dass die Moden wechseln, Stil hingegen zeitlos ist. Daran ist viel Wahres, denn guter Stil basiert auf uralten Proportionsgesetzen, auf Ideen von Harmonie, Reduktion und Schlichtheit. Allerdings hat sich das Stilempfinden früher in ganz anderen Kleidungsstücken, Accessoires und Frisuren ausgedrückt. Heute kennen wir nur noch wenige Anlässe, für die eine Dame gerüstet sein muss. Beruf, Smart Casual, Freizeit und Anlässe. In den 1920ern gab es sehr viel mehr Nuancen, es gab Vormittagskleider, Straßenkleider, Teekleider, Cocktailkleider und Abendgarderobe diverser Schattierungen. Insofern haben wir es auf den ersten Blick leichter, bei genauerer Betrachtung aber nicht. Wer weniger Elemente zur Verfügung hat, muss viel genauer überlegen, wie er sie einsetzt.

Foto: Shutterstock/MillaF

 

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