
Ein Schlaganfall kann jede:n treffen – jederzeit und überall. In Österreich erleidet alle 20 Minuten ein Mensch einen Schlaganfall – rund 20.000 Menschen pro Jahr. Ab dem ersten Moment zählt jede Sekunde: Mit jeder Minute ohne Behandlung sterben Millionen von Gehirnzellen unwiederbringlich ab. Besonders die erste Stunde nach dem Ereignis – die sogenannte goldene Stunde – ist entscheidend für Leben, Funktion und Zukunft der Betroffenen.
Ziel des Weltschlaganfalltages ist, die Bevölkerung für die ersten Warnsignale zu sensibilisieren:
„Plötzlich einsetzende Lähmungen oder Taubheitsgefühle, Sprachstörungen, hängender Mundwinkel, heftige ungewöhnliche Kopfschmerzen, Schwindel oder Sehstörungen – bei diesen Symptomen muss sofort gehandelt und Hilfe geholt werden. Gleichzeitig geht es bei diesem Awareness-Tag auch darum, das Bewusstsein für Vorbeugung zu stärken“, erklärt Prim. Univ.-Prof. Dr. Jörg Weber, Präsident der ÖGN und Vorstand der Neurologie am Klinikum Klagenfurt.
Univ.-Prof. Dr. Jörg Weber
Warnsignale erkennen – Leben retten
„Schnell handeln und nicht zögern ist die wichtigste erste Maßnahme“, betont Prim.a Priv.-Doz.in Dr.in Julia Ferrari, Präsidentin der Österreichischen Schlaganfall-Gesellschaft (ÖGSF), Präsidentin elect der ÖGN und Leiterin der Abteilung für Neurologie im Krankenhaus der Barmherzigen Brüder Wien. „Nur wenn die Symptome richtig erkannt werden und sofort der Notruf 144 gewählt wird, besteht eine gute Chance auf Erholung.“
Prim.a Priv.-Doz.in Dr.in Julia Ferrari
80 % aller Schlaganfälle wären vermeidbar
Neben rascher Akutversorgung ist Primärprävention die wirkungsvollste Schlaganfallstrategie. Bis zu 80 % aller Schlaganfälle wären durch fünf einfache Maßnahmen des Lebensstils verhinderbar: nicht rauchen, auf das Gewicht achten (BMI unter 25 kg/m²), mediterrane Diät/Kost, geringer oder kein Alkoholkonsum (weniger als 100 g/Woche) und regelmäßige körperliche Aktivität (mindestens 150–300 Minuten pro Woche moderate Aktivität).
Eine ideale Prävention beinhaltet auch das Erkennen und die Kontrolle vaskulärer Risikofaktoren. Die vier modifizierbaren Hauptrisikofaktoren sind Bluthochdruck, hohes Cholesterin, Diabetes mellitus (Zuckerkrankheit) und Rauchen, wie auch eine rezente Studie aus Korea und den USA bestätigt (DOI: 10.1016/j.jacc.2025.07.014). Wichtig sind regelmäßige Vorsorgeuntersuchungen!
Schlaganfall – Wettlauf gegen die Zeit
Zum Weltschlaganfalltag erinnert die Österreichische Schlaganfall-Gesellschaft (ÖGSF) daran, dass sich das Leben innerhalb von Sekunden – im wahrsten Sinne des Wortes „mit einem Schlag“ – drastisch verändern kann.
„Es ist ein Wettlauf gegen die Zeit“, betont Dr. Ferrari. „Wissen um Symptome, Aufmerksamkeit für Warnsignale und rasches Handeln können den Unterschied bedeuten – zwischen bleibender Behinderung und einem zweiten Leben.“
Ein Schlaganfall entsteht durch eine verstopfte oder geplatzte Hirnarterie, wodurch bestimmte Gehirnareale plötzlich nicht mehr mit Sauerstoff versorgt werden. Die äußeren Anzeichen sind meist eindeutig: plötzliche Lähmungen oder Taubheitsgefühle, Sprach- oder Sehstörungen, heftige Kopfschmerzen oder Schwindel.
Mit dem FAST-Test den Schlaganfall in Sekunden erkennen
Der sogenannte FAST-Test hilft, einen Schlaganfall rasch zu erkennen und richtig zu reagieren:
- F – Face (Gesicht):Eine Gesichtshälfte hängt herab, die Person kann nicht lächeln.
- A – Arm:Ein Arm kann nicht gehoben oder gehalten werden.
- S – Speech (Sprache):Die Sprache ist verwaschen oder unverständlich, Wörter fehlen.
- T – Time (Zeit):Sofort Notruf 144 wählen! Jede Minute zählt – je früher die Behandlung beginnt, desto größer sind die Chancen auf Erholung.
Bereits beim Notruf sollte darauf hingewiesen werden, dass Verdacht auf Schlaganfall besteht und – wenn bekannt – welche Medikamente die betroffene Person einnimmt. Der/die Patient:in muss umgehend in eine spezialisierte neurologische Schlaganfall-Einheit (Stroke Unit) gebracht werden. Dort erfolgen gezielte Diagnostik, akute Behandlung und die Einleitung vorbeugender Maßnahmen, um Folgeschäden zu verhindern.
Primärprävention: Was sind die Risikofaktoren, wer ist gefährdet, wie kann man vorbeugen?
Zusätzlich zu den vier modifizierbaren Hauptrisikofaktoren spielen Lebensstilmodifikationen im Sinne von viel Bewegung, gesunder, mediterraner Ernährung sowie Stressmanagement bei der Primärprävention bedeutende Rollen.
„Nur 30 Minuten tägliche Bewegung an fünf Tagen pro Woche können das Schlaganfallrisiko um 25 % senken“, erklärt Assoz. Prof. Priv.-Doz. Dr. Thomas Gattringer, Leiter der Stroke Unit und stellvertretender Klinikvorstand der Universitätsklinik für Neurologie Graz und Vorstandsmitglied der ÖGSF.
Assoz. Prof. Priv.-Doz. Dr. Thomas Gattringer
Bluthochdruck (Hypertonie)
Er ist der wichtigste Risikofaktor für Schlaganfälle, den man aber sehr gut in den Griff bekommen kann.
„Er sollte im Regelfall nicht höher als 130 zu 80 sein“, so Dr. Ferrari. Bluthochdruck verursacht lange Zeit keine Beschwerden, schädigt aber dauerhaft die Gefäßwände. Man nennt ihn auch die „stille Gefahr“, ergänzt Dr. Gattringer.
Er fördert Arterienverkalkung und begünstigt Risse in oder das Platzen von Hirngefäßen. Eine konsequente Blutdruckkontrolle kann das Schlaganfallrisiko um bis zu 40 % senken. Regelmäßige Messungen, salzarme Ernährung, Bewegung und gegebenenfalls Medikamente sind entscheidend.
Hohes Cholesterin
Erhöhte LDL-Cholesterinwerte („schlechtes Cholesterin“) führen zu Ablagerungen (Plaques) in den Arterien, was die Durchblutung des Gehirns beeinträchtigt und Gefäßverschlüsse auslösen kann. Eine cholesterinbewusste Ernährung, regelmäßige Bewegung und – falls nötig – lipidsenkende Medikamente wie Statine verringern das Risiko.
Bei Hyperlipidämie gelten folgende Richtwerte laut aktuellen Leitlinien der European Society of Cardiology (ESC) und der European Atherosclerosis Society (EAS, 2025):
• LDL-Cholesterin (Low-Density Lipoprotein):
– Für Personen mit niedrigem Risiko: < 115 mg/dl
– Für moderates Risiko: <100 mg/dl
– Für hohes Risiko (z. B. Bluthochdruck, Diabetes, Raucher:innen): < 70 mg/dl
– Für sehr hohes Risiko (z. B. bereits erlittener Schlaganfall, Herzinfarkt, Gefäßerkrankung): < 55 mg/dl
Je niedriger der LDL-Wert, desto geringer ist das Risiko für Gefäßverkalkung und Schlaganfall.
Das Gesamtcholesterin sollte idealerweise unter 190 mg/dl liegen.
Das HDL-Cholesterin (das „gute“ Cholesterin) sollte über ≈ 40 mg/dl bei Männern und über≈ 45 mg/dl bei Frauen liegen.
Lipoprotein(a) als Schlaganfall-Indikator
Neben LDL und HDL spielt auch das Lipoprotein(a) [Lp(a)] eine zunehmend beachtete Rolle. Es handelt sich um einen erblich bedingten Blutfettwert, der als unabhängiger Risikofaktor für Gefäßerkrankungen und Schlaganfall gilt. Lp(a) ähnelt dem LDL-Cholesterin, trägt jedoch ein zusätzliches Eiweiß – Apolipoprotein(a) –, das Gefäßverkalkung und Blutgerinnselbildung begünstigt.
Ein erhöhter Lp(a)-Wert kann selbst bei ansonsten normalen Blutfettwerten das Schlaganfallrisiko erhöhen. Da der Wert genetisch festgelegt ist, wird eine einmalige Bestimmung im Erwachsenenalter empfohlen, insbesondere bei familiärer Vorbelastung oder frühzeitigen Gefäßerkrankungen.
Aktuell existieren noch keine spezifischen Therapien, jedoch befinden sich RNA-basierte Wirkstoffe in klinischer Erprobung. Bis dahin liegt der Fokus auf einer konsequenten Senkung anderer Risikofaktoren.
Der Lp(a)-Wert sollte unter 50 mg/dl liegen.
Diabetes mellitus (Zuckerkrankheit) und Rauchen
Diabetes schädigt langfristig die Blutgefäße, fördert Arteriosklerose und verdoppelt bis verdreifacht das Schlaganfallrisiko. Nikotin und andere Inhaltsstoffe von Zigaretten verengen die Blutgefäße, fördern Entzündungen und erhöhen die Blutgerinnung. Raucher:innen haben ein bis zu doppelt so hohes Risiko für Schlaganfälle wie Nichtraucher:innen. Bereits wenige Monate nach Rauchstopp beginnt sich das Risiko deutlich zu senken.
Eine gute Blutdruck- und Blutzuckereinstellung, konsequentes Cholesterinmanagement, ausgewogene Ernährung, regelmäßige Bewegung und ärztliche Kontrollen sind somit zentrale Präventionsmaßnahmen.
Neue Erkenntnisse verbessern die Akuttherapie und die Rehabilitation
Neuere Studien verändern das Verständnis der Schlaganfallbehandlung: Sowohl die Lysetherapie als auch die mechanische Thrombektomie können in erweiterten Zeitfenstern eingesetzt werden – mit positiven Auswirkungen auf Rehabilitation und Langzeitprognose.
- Lysetherapie (Thrombolyse) – auch im erweiterten Zeitfenster möglich?
Eine Lysetherapie (z. B. mit Alteplase oder Tenecteplase) ist standardmäßig innerhalb von 4,5 Stunden nach Symptombeginn zugelassen. Studien zeigten jedoch, dass in gut ausgewählten Fällen eine Thrombolyse auch im erweiterten oder unklaren Zeitfenster sehr erfolgreich eingesetzt werden kann. So hat die Leitlinie der Europäischen Schlaganfall Organisation bereits 2021 festgehalten, dass Patient:innen bei Vorliegen eines günstigen Profils in der erweiterten Bildgebung des Gehirns (Nachweis eines rettbarem Hirngewebes) bis 9 Stunden nach Einsetzen der Schlaganfallsymptome eine Thrombolysetherapie erhalten können (Berge et al., Eur Stroke Journal 2021).
Ganz rezente Studien bestätigen dieses Vorgehen und deuten darauf hin, dass dieses maximale Zeitfenster unter bestimmten klinischen und bildgebenden Voraussetzungen noch länger erweitert werden kann (Zhou et al., JAMA 2025; Günkan, Stroke 2025). Eine neue Metaanalyse von Studien, die Lysetherapien im erweiterten Zeitfenster untersuchte, fand, dass Patient:innen, die eine Lyse bekamen, eine höhere Rate ausgezeichneter funktionaler Ergebnisse nach 90 Tagen hatten (relatives Risiko 1,25) im Vergleich zu Patient:innen, die keine Lyse erhielten, ohne dass sich Sterblichkeit oder schwere Blutungen signifikant erhöhten. (Luo JX et al; J Stroke Cerebrovasc Dis. 2025)
Was bedeutet das für Betroffene?
Wenn Patient:innen erst spät ins Krankenhaus kommen – etwa viele Stunden nach Symptombeginn oder mit unklarem Beginn (z. B. bei einem "Aufwachschlaganfall"/wake-up stroke) –, kann je nach klinischer Situation und Information aus bildgebender Diagnostik (CT oder MRT) eine Lysetherapie noch möglich sein. Entscheidend ist, dass noch rettbares Hirngewebe vorhanden und das Blutungsrisiko vertretbar ist.
- Thrombektomie – Hoffnung auch bei großem Infarktkern?
Die mechanische Thrombektomie – also das Entfernen des Blutgerinnsels mit Kathetern – gilt heute als Standard bei großen Gefäßverschlüssen, wenn früh genug behandelt wird. Die Frage war lange, ob sie auch dann sinnvoll ist, wenn der bereits geschädigte Hirnanteil („Infarktkern“) relativ groß ist. Neue Studien zeigen: ja – unter bestimmten Umständen.
Eine Metaanalyse von sechs randomisierten Studien mit insgesamt 1.897 Patient:innen zeigte: Bei Patient:innen mit „Large-Core“-Schlaganfällen war die Thrombektomie im Vergleich zur rein medikamentösen Therapie mit besseren funktionalen Ergebnissen nach 90 Tagen verbunden (Odds Ratio ~ 1,6) und höherer Wahrscheinlichkeit, wieder selbstständig zu gehen (mRS 0–3). Das Risiko symptomatischer Blutungen war zwar ebenfalls erhöht, aber die Sterblichkeit war tendenziell niedriger (Liu C et al. Neurology. 2025).
Was bedeutet das praktisch?
Auch Menschen mit bereits stark betroffenen Hirnbereichen können heute ausgewählt von einer Thrombektomie profitieren. Entscheidend bleibt eine sorgfältige Bildgebung unter Einbeziehung der klinischen Faktoren und Vorerkrankungen zur Abschätzung, wie viel Gewebe noch gerettet werden kann und wie hoch das Risiko für Komplikationen ist. „Auch weitere klinische Faktoren und Vorerkrankungen sowie der mutmaßliche Wille der Patient:innen müssen in die Entscheidungsfindung miteinbezogen werden, da viele Patient:innen trotz erfolgreicher Behandlung mit schweren Behinderungen überleben“, so Dr. Gattringer.
Nachsorge und Rehabilitation sind entscheidend für den Langzeiterfolg
Der Schlaganfall ist nicht nur eine akute, sondern auch eine chronische Erkrankung. Rund 29 Prozent der Patient:innen werden im ersten Jahr nach einem Schlaganfall erneut stationär aufgenommen – häufig wegen Komplikationen wie Stürzen, Depressionen, epileptischen Anfällen oder Spastik.
Eine strukturierte Nachsorge etwa drei Monate nach dem Ereignis – durch ein multiprofessionelles Team – kann das Risiko für erneute Ereignisse deutlich reduzieren.
„Frühe, gezielte Rehabilitation und eine koordinierte Nachsorge sind die Schlüssel zu besserer Lebensqualität und Selbstständigkeit“, so die Expert:innen.„Wir wissen heute: Jeder Tag zählt – in der Akutphase ebenso wie in der Erholung.“
Neue Studien verändern das Therapiekonzept beim Schlaganfall nachhaltig. Durch moderne Bildgebung, individuell angepasste Therapieentscheidungen und konsequente Nachsorge verbessern sich die Chancen auf Erholung und Lebensqualität deutlich.
Über die Österreichische Schlaganfallgesellschaft
Die Österreichische Schlaganfall Gesellschaft ist eine medizinische Fachgesellschaft mit dem Ziel, die Diagnostik und Behandlung von Menschen mit Schlaganfällen zu verbessern. Besondere Anliegen sind die Förderung von Forschung im Bereich zerebrovaskulärer Erkrankungen, die kontinuierliche Fortbildung von medizinischem Fachpersonal und dieInformation Betroffener und der Öffentlichkeit über die Prävention, Akutbehandlung, Nachsorge und Rehabilitation von Schlaganfällen.
Links: www.oegn.at, www.ögsf.at
Fotos: Anja Koppensteiner / ÖGN, Med Uni Graz, Shutterstock/Ahmet Misirligul